prof. eberhard von goldammer Seminar - Text SS 2006 Technik entwerfen Essay von

prof. eberhard von goldammer Seminar - Text SS 2006 Technik entwerfen Essay von Vilém Flusser [*] Die bislang vorgeschlagenen Entwürfe, vom Stadt- bis zum Kinderentwurf, bezogen sich auf die äußeren Schalen des Zwiebelgebildes «Selbst», also darauf, was «menschliche Bedingung» oder «Umwelt» genannt wird. «Stadt», «Haus» und «Familie» stehen hier für unsere politische, «Körper», «Sex» und «Kinder» für unsere biologische Bedingung. Die Auswahl dieser Schalen aus einer unüberblickbaren Anzahl ineinandergreifender Bedingungen erfolgte mit der Absicht, die hergebrachte Klassifikation der «Umwelt» durcheinander zu bringen. Jede deutliche Klassifikation der «Umwelt», zum Beispiel alle Einteilung der Wis- senschaft in Disziplinen, muß schon deshalb verfehlt sein, weil sie die Phänomene zwingt, sich in Klassen einzureihen (Objekte des Erkennens zu werden). Sie gewährt den Phänomenen nicht den Raum, in dem sie zu Worte kommen könnten. Die in den vorangegangenen Kapiteln hoffentlich gestiftete Verwirrung wollte vor Augen führen, wie das Aufrichten aus der Subjekteinstellung durch die akademi- schen «Fakultäten» hindurchbricht, und nicht nur «stilistisch», sondern auch methodisch das Gebäude des objektiven Wissens verunglimpft. In diesem Sinn ist Verwirrung «heilsam». Aber daß das Buch mit diesen Kapiteln begann, hat auch einen Nachteil. Es han- delt sich nämlich um Themen, welche üblicherweise – wenn auch in einem anderen als dem hier gemeinten Sinn – von Spezialisten behandelt werden, denen es darum geht, Alternativen aufzuzeigen. «Stadt» ist ein Thema für Politologen, «Haus» für Architekten, «Familie» für Soziologen, «Körper» für Biologen, «Sex» für Psycho- logen, «Kinder» für Pädagogen, und alle diese Leute gehen dabei von dem Stand- punkt aus, daß es um ihr Thema schlecht bestellt ist und daß es nötig ist, daran etwas zu ändern. Hier sind diese Themen gerade nicht als «Spezialisierungen», mit einem anderen Wort also dilettantisch angesprochen worden. Der Nachteil dabei ist, daß der Eindruck erweckt wird, als sei ein Umdenken aus Subjektivität in Pro- jektivität zu dilettantischer Verworrenheit (also zu undisziplinierter Simplifika- tion) verurteilt. Als unterschieden sich die hier vorgeschlagenen Projektionen von denjenigen, die seitens der Spezialisten ausgearbeitet werden, vor allem durch vul- garisierendes Durcheinander. Als wären sie nicht «post-wissenschaftlich», sondern pseudowissenschaftlich und daher demagogisch. Dieser Nachteil muß leider in Kauf genommen werden; denn es liegt ja im Wesen der hier gemeinten Umstel- lung, daß sie vom Standpunkt der hergebrachten Disziplinen tatsächlich undiszip- liniert verläuft. Mit diesem Kapitel kommt die Rede jedoch auf ein Thema, für das Spezialisten nicht kompetent sein können, weil sie selbst darin verstrickt sind; ein Thema, das von «Generalisten» – früher sagte man dazu «Philosophen» – behandelt werden muß, also von Leuten, welche eben nicht «Techniker» sein können. Was man über «Technik» zu lesen bekommt, kann genausowenig von Technikern geschrieben worden sein wie etwa eine Abhandlung über «Sex» von sich paarenden Menschen. * aus: "Vom Subjekt zum Projekt Menschwerdung", Fischer Taschenbuchverlag, 1998, p.133-146. 1 seminarTEXT (Was nicht ausschließt, daß Technikphilosophen telefonieren und Sexologen sich paaren.) Das Thema «Technik» betrifft nicht mehr eine «äußere Schale», eine Bedingung in unserer Umwelt, sondern einen Aspekt unserer Einstellung der Umwelt gegenüber. Es handelt sich um eine Geste des sich als Subjekt einer objektiven Welt verstehenden Menschen. Mit dem Thema der Technik wird das Entwerfen der Einstellung selbst und nicht mehr das Entwerfen von etwas auf etwas angesprochen. Es ist nicht nötig, Worte über die entscheidende Rolle der Technik in der gegen- wärtigen Krise zu verlieren. Es versteht sich von selbst, daß dieses Thema als ers- tes besprochen werden muß, wenn es darum geht, eine Umstellung unserer Ein- stellung zu bedenken. Weniger selbstverständlich ist schon, was mit diesem Begriff überhaupt gemeint ist. Die Etymologie kann dabei ausnahmsweise nicht helfen. Daß das Wort ungefähr das griechische Äquivalent für «Kunst» ist, nützt wenig zu wissen, weil wir ja nicht wissen, was, «Kunst» bedeutet. Im Deutschen hängt dies mit «können» zusammen, und das ist ein unentwirrbares Bedeutungs- knäuel. Im Lateinischen hat ars wohl mit dem uralten «ar» zu tun, das etwa «einfü- gen» bedeutet. Und das griechische techne selbst deutet auf «tek», womit vielleicht «Holzzubereitung» gemeint gewesen sein könnte. Ist «Kunst» also etwa die Fähigkeit, geschnitztes Holz zusammenzufügen? Das ist zwar interessant, aber so kommt man nicht viel weiter (es sei denn, man versetzte sich in die Lage von Schimpansen, welche versuchen, mit zusammengefügten Bambusstöcken eine ansonsten unerreichbare Banane zu fischen.) Wenn Etymologie versagt, befragt man Philologen. Diese Freunde der Wörter wer- den vielleicht eine Bedeutung von «Technik» vorschlagen, die der etymologischen entgegengesetzt ist. Sie werden vielleicht sagen, daß in der Neuzeit «Technik» gerade nicht «Kunst» meint. Es bedeutet in modernen Texten zumeist eine auf wissenschaftlichen Theorien beruhende Behandlung von Gegenständen, während «Kunst» eher eine empirische Behandlung bedeutet. Aber diese Worte werden sel- ten eindeutig verwendet, sondern das Konnotative an ihnen ist bezeichnend für sie. So kann etwa von einer «Technik der Kunst» oder von einem «technischen Kunst- griff» gesprochen werden. Man kann nicht einmal sagen, «Kunst» und «Technik» seien zwei Behandlungsarten, die einander überschneiden können. Denn beide Worte haben etwas mit «Methode» zu tun, was ja seinerseits «hinter dem Weg, also dahinterkommen» bedeutet. Sind «Technik» und «Kunst» zwei einander über- schneidende Behandlungsarten, die beide dahinterkommen wollen? So also geht es auch nicht weiter (denn die Schimpansen wollen doch nicht hinter die Banane, sondern nur bis zu ihr kommen). Wenn man auf die Bedeutung von «Technik» kommen will (wie die Schimpansen auf die Banane), muß man es anders herum versuchen. (Ohne sich dabei von der vorangegangenen Literatur und insbesondere von Heidegger an der Nase herumführen zu lassen.) Nehmen wir an, daß wir wissen, was «Technik» meint (was wir ja tatsächlich ungefähr tun), und stellen wir uns vor, wie es ohne sie aussehen würde. Das ist unvorstellbar. Nicht nur würden wir dann nicht gehen, essen und atmen – denn all dies setzt eine Technik voraus –, sondern wir würden nicht einmal nicht gehen, nicht essen und nicht atmen – denn dies würde eine noch ausgebildetere Technik voraussetzen, wie Kafkas Hungerkünstler vor Augen führt. 2 seminarTEXT Die Tatsache, daß wir uns Abwesenheit von Technik nicht einmal vorstellen können, legt nahe, daß «Technik» ein Wort ist, welches etwas meint, das so eng mit uns verbunden ist, daß wir davon nicht Abstand nehmen können. Technik und Mensch scheinen einander gegenseitig zu implizieren, und das meint wohl der Ausdruck «Homo faber» (der am besten mit «fügender Mensch» übersetzt wird). Falls wir mit «Mensch» das Gegenüberstehen meinen (also «Subjekt», «Ek-sistenz»), dann bedeutet «Technik» die Einstellung des Gegenüberstehens. Anders gesagt, «Technik» ist das Verbum des Substantivs «Mensch» und «Mensch» das Substantiv des Verbums «Technik», und falls man dagegen einwenden wollte, daß «Technik» doch ein Substantiv zu sein scheint, so ließe sich statt dessen auch «existieren» sagen. Mit dieser Definition von «Technik» als einem Synonym von «existieren» läßt sich operieren. Mit ihr wird nämlich sofort deutlich, warum es bei der gegenwärtigen Krise vor allem darauf ankommt, die Technik zu bedenken. Falls es sich bei dieser Krise um ein Umstellen vom Subjekt zum Projekt handelt, wie dieses Buch zu zeigen ver- sucht, dann geht es um ein Krise der Technik. Bedeutete Technik bisher «existie- ren» im Sinn von «gegenüberstehen», so vollzieht sich gegenwärtig eine Umstel- lung, bei der sich die Technik wie ein Handschuh umstülpt und «existieren» nun den Sinn von «entwerfen» erhält. «Technik entwerfen» hieße demnach, sich aus der Unterwürfigkeit ins Entwerfen zu entwerfen, aus dem Selbst ins offene Feld der Möglichkeiten. Eine derart radikale und sich in den eigenen Schwanz beißende Formulierung der Frage nach der Technik verlangt danach, plausibel gemacht zu werden. Die hier vorgeschlagene Definition von «Technik» als Synonym für «existieren» ist implizit übrigens in der üblichen Klassifikation der Menschheitsgeschichte ent- halten. Wenn man etwa von einem Menschen der Stein-, Kupfer-, Bronze-, Eisen- und Plastikzeit spricht, so meint man aufeinanderfolgende und ineinandergreifende Existenzformen, Formen des Gegenüberstehens. Man meint, der Steinzeitmensch habe existiert, indem er sich technisch auf Steine (und vergleichbare Objekte) ein- gestellt habe. Die offensichtlichen Einwände gegen eine derartige Klassifikation – daß der Steinzeitmensch sich zweifellos technisch auch auf Luftwellen eingestellt, nämlich gesprochen habe – können hier ausgespart werden. In unserem Zusam- menhang von Interesse an der Klassifikation ist das Verständnis des Menschen als Subjekt, das sich technisch gegenüber Objekten einstellt. Dazu ein charakteristi- sches Beispiel. Soweit wir dies beurteilen können, hat man mit einem Stein gegen einen anderen geschlagen, um eine Spitze zu erzielen. Dabei hielt man wohl den zu bearbeitenden Stein in der linken Hand und den schlagenden in der rechten. Die Absicht dabei scheint gewesen zu sein, einen künstlichen Zahn zu erhalten. Darüber läßt sich uferlos philosophieren. Zum Beispiel nur: Irgendwo und irgendwie muß im Zentralnervensystem das Modell eines künstlichen Zahns komputiert und die beiden Hände müssen von den beiden Gehirnhälften im Sinn dieses Modells gesteuert worden sein. Oder: Der Stein in der linken Hand muß der «Gegenstand» im engeren Sinn gewesen sein (tückischerweise wehrte er sich dagegen, geschlagen zu werden), der Stein in der rechten dagegen war innerhalb der Geste des Steinschlagens kein Gegenstand, sondern eine Verlängerung der 3 seminarTEXT Hand (ein Werkzeug); es ist daher ein ontologischer Fehler, die beiden Steine auf die gleiche Seinsebene stellen zu wollen. Das allerdings wirft die Frage auf, was eigentlich geschah, als die rechte Hand nach ihrem Stein griff. Eine phänomenologische Untersuchung und uploads/Litterature/ flusser-technik-entwerfen.pdf

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