1 Begriff, Metapher, Grenze: Anti-Essentialismus bei Nietzsche, Mauthner und Wi
1 Begriff, Metapher, Grenze: Anti-Essentialismus bei Nietzsche, Mauthner und Wittgenstein S.Kerem Aslan “Juliet ist die Sonne”, “Richard ist ein Gorilla”, “Geschichte ist ein Alptraum”, usw. Diese Sätze sind Metaphern, die wir im Alltag oder auch in einem literarischen Text verwenden können. Dennoch gibt es nicht nur diese Metaphern, die man elliptischer Vergleich nennen kann. Metapher kann man auch anders gebrauchen. Wir sagen, eine Szene aus einem Film, z.B. die im Wind flatternde weiße Tüte im American Beauty, sei sehr metaphorisch. Ähnlicherweise nannte Picasso seine Werke Anschauungsmetaphern. Ferner prägten Lakoff und Johnson, die Begründer der kognitiven Linguistik im 20. Jahrhundert, die These der konzeptuellen Metapher, dass nicht nur Vergleichungen in Form A=B, sondern auch jede Art des sprachlichen Ausdrucks und auch Begriffe selbst im Ursprung Metaphern sind. Was ist denn gemeinsam all diesen Verwendungen der Metapher? Wie Aristoteles Metapher definiert, könnte uns dafür helfen: “Metapher ist ein vorläufiger Verwendungswechsel des eigentlichen Wortes.” Dementsprechend haben Wörter und Begriffe (bei den nicht-sprachlichen Metaphern die Vergleichsobjekte wie ein Detail aus einem Gemälde Picassos oder die im Wind flatternde Tüte) schon eine eigentliche Verwendung; jedoch gewinnen sie während dieses Vergleichs nämlich der Metapher vorübergehend eine andere / neue / zusätzliche Bedeutung. Wir sagen, dass Romeo meint, wenn er einige Eigenschaften der Sonne zur Juliet zuschreibt, dass sie für ihn eine noch größere Bedeutung habe. Die im Wind flatternde Tüte deutet nicht nur auf einen Gegenstand, der zum Tragen anderer Gegenstände dient, sondern auch auf etwas anders, anders als sich selbst. Was all den (sprachlichen und außersprachlichen) Metaphern gemeinsam ist, ist in dieser Hinsicht, dass sie dem Vergleichsobjekt eine neue, weitere Bedeutung außer seiner eigentlichen geben. Wenn man aber bedenkt, dass Aristoteles und seine Nachfolger Metapher als ein sprachlicher Gebrauch bestimmt, sind außersprachliche Metaphern (Filme, Gemälde, Lieder) Metaphern nicht im eigentlichen Sinne sondern metaphorisch.1 Mit anderen Worten verwenden wir den Begriff für sie als ein Metapher. Die These, dass ein Wort eine eigentliche, wörtliche Bedeutung besitzt, und dass die metaphorische Verwendung eine sekundäre, zusätzliche Bedeutung sei, betrifft nicht nur Aristoteles. Metapher ist einer der meistdiskutierten Themen der Sprachphilosophie und die These, dass die metaphorische Bedeutung sekundär und von der eigentlichen abhängig sei, wurde von vielen Philosophen vertreten. Allerdings wurde die Struktur eines metaphorischen 1 Vgl. Stern, 200, S.302 2 Ausdrucks nicht immer in dieser Weise erklärt. Eine alte Tradition im Raum Sprachphilosophie, die heute kaum Nachfolger hat, verteidigt, dass nicht nur Aussage sondern auch Begriffe selbst einen metaphorischen Aufbau haben. Die Frage nach dem Ursprung der Sprach war im 18. Jahrhundert sehr bekannt und die These, dass die Sprache im Ursprung metaphorisch sei, wurde in diesem Zeitraum insbesondere in Frankreich und im deutschen Sprachraum von vielen Philosophen verteidigt. Diese Auffassung verlor in der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts an Bedeutung. Es ist allerdings nicht das Hauptthema dieser Arbeit, bloß diese besondere Metaphernauffassung zu behandeln. Dennoch wurde die These, dass die Sprache im Ursprung einen metaphorischen Charakter habe, gegen Ende 19. Jahrhundert und um die Jahrhundertwende von zwei Philosophen und zwar Friedrich Nietzsche und Fritz Mauthner hervorgehoben. Metaphorischer Charakter der Sprache schuf für beide Philosophen eine Grundlage für ihre Sprachkritik. Dieser Sprachkritik gegenübersteht sowohl bei Nietzsche als auch bei Mauthner eine Kritik der idealen Sprache d.h. eine begrifflich vollkommene Sprache, deren zugrunde eine Korrespondenztheorie der Wahrheit liegt.2 Die Hauptthese dieser Arbeit wird also, dass diese kritische Annäherung dieser zwei Philosophen einen bestimmten Einfluss auf Wittgensteins Kritik der Idealen Sprache und des Essentialismus hatte. Dass Wittgensteins Anti-Essentialismus nach Nietzschescher und Mauthnerscher Kritik tönt, wurde bisher nicht eingehend untersucht. Wittgenstein hatte aber keine deutliche Auffassung der Metapher. Noch spielte Metapher eine wesentliche Rolle in seiner Philosophie. Jedoch gibt es zwischen den genannten drei Philosophen bestimmte Parallelen im Sinne von dem Gedanke, dass die Sprache ein vollkommenes Abbildungsmittel ist oder sein soll. Diese Arbeit hat also das Ziel, die Verbindung und die Kontinuität zwischen diesen drei Philosophen hinsichtlich ihres Anti- essentialismus zu untersuchen. In diesem Text versuche ich zunächst die Gedanken Nietzsches und Mauthners über den metaphorischen Ursprung der Sprache und Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeit in Bezug auf seine Kritik des Idealismus zu skizzieren. Anschließend versuche ich zu zeigen, wie die erwähnte Kontinuität zu interpretieren ist. Nietzsche Die Frage, ob Nietzsche eine deutliche, abgeschlossene Sprachtheorie hatte, hat keine einfache Antwort. Sein Verhältnis zum Thema Sprache ist in den letzten fünf Jahrzehnten der 2 Vgl. Crawford, 1988, S.216-9 3 Gegenstand von vielen philosophischen Untersuchungen gewesen.3 Es ist aber gewiss, dass Beziehungen zwischen Sprache und Erkenntnis und Sprache und Wahrheit nehmen einen wichtigen Platz in seinem Werk. Allerdings hat die Sprache insbesondere in seinen früheren Schriften4 die zentrale Rolle gespielt. Es ist die Hauptthese Nietzsches in “Über Wahrheit und Lüge”, dass die Begriffsbildung ursprünglich von einem metaphorischen Vorgang abhängig ist. Der Gedanke über den metaphorischen Charakter/Ursprung der Sprache ist allerdings für Nietzsche nicht originär. Eher kann man “Über Wahrheit und Lüge” als ein Nachfolger einer alten Tradition betrachten, welche den rhetorischen und metaphorischen Ursprung der Sprache hervorhebt. Hamann und Herder waren die Hauptvertreter dieser Tradition im deutschen Sprachraum im 18. Jahrhundert. Obwohl sie nicht das Wort Metapher einführen, legen beide Philosophen die Betonung auf den poetischen Charakter der Sprache. Für Hamann z.B. ist die Repräsentation nicht die fundamentale, vorrangige Funktion der Sprache, sondern sie ist sekundär und abgeleitet. Dagegen haben Symbolismus, Bildlichkeit und Metapher Vorrang.5 Dementsprechend schreibt er in seiner Schrift “Ästhetica in Nuce”, dass “die Muttersprache des menschlichen Geschlechts Poesie sei.” Herder hatte einen ähnlichen Ansatz. Für ihn ist die Sprache auch diejenige, die in erster Linie poetisch ist. Was wir tun, wenn wir die Welt durch die Sprache, die “eine mit dem Gegenstande nicht zusammenhängende, unvollkommene, symbolische Sprache ist”, beschreiben, ist nichts außer “Bilder und Gedanken paaren, sie mit dem Stempel der Analogie ... bezeichnen.”6 Also es wäre nicht falsch zu behaupten, dass Nietzsche ein Nachfolger der Hamann-Herder Tradition ist7, wenn er die Möglichkeit einer Natur der Sprache, die unrhetorisch ist, ablehnt.8 Allerdings war Nietzsches Einfluss auf seine Nachfolger größer. Seine Sprachkritik in den genannten Schriften kann man als eine frühe Kritik des Ideals der objektiven Wahrheit 3 Vgl. Crawfod, 1988, S. IXff. 4 Über Wahrheit und Lüge im Aussermoralischen Sinne-1873, Aufzeichnungen von Vorlesung über Rhetorik-1874 5 Vgl. Griffith-Dickinson, 2013 6 Herder, 1994, 645-6 7 Es gibt auch Texte, denen zufolge Nietzsche von einem Hamannschen/Herderschen Denken auf indirekte Weise beeinflusst wurde. J. Gray behauptet, Nietzsche wüsste vom Hamannschen/Herderschen Ansatz über eine Vorlesung “Über den Ursprung und die Entwicklung der Sprache” (1872), die von seinem Kollege Prof. Wilhelm Wackernagel an der Universität Basel gehalten und danach veröffentlich wurde, die hauptsächlich auf Herders “Abhandlung über denUrsprung der Sprache” beruhte. (Vgl. Gray, 2012, pp.104-121) Auf der anderen Seite Anthonie Meijers (1988) und Martin Stingelin (1988) behaupten, dass viele Ideen und Beispiele, die Nietzsche in Rhetorik Aufzeichnungen und Über Wahrheit und Lüge nutzen, kommen direkt, und in vielen Fällen Wort für Wort, aus Gustav Gerbers Werk “Sprache als Kunst”. (Vgl. Crawford, 1988, pp.199-219) 8 Vgl. Nietzsche, 1995, S.425 4 betrachten. Eine nietzschesche Auffassung wurde im 20. Jahrhundert insbesondere von den Poststrukturalisten wie Derrida und de Man hervorgehoben. Die Frage, ob Wahrheit die vollkommene Übereinstimmung von Intellekt und Dingen sei, ist die zentrale Frage Nietzsches in seiner Schrift. In „Wahrheit und Lüge“ versucht er zu zeigen, dass es eine Art von Dogmatismus ist, daran zu glauben, dass unsere Sprache die vollkommene Abbildung der Wirklichkeit ist (oder sein soll). Deshalb stellt er die Frage, ob “die Sprache der adäquate Ausdruck aller Realitäten ist.”9 Dass die Sprache ungeeignet zum Ausdruck der Wirklichkeit sei, erklärt Nietzsche auf zweierlei Weise. Bildung eines Begriffs ist zunächst deswegen eine Art von Metapher, weil die Abbildung und zwar die Kopie des Gegenstandes im Geist mit dem Gegenstand selbst nicht identisch ist. Sie gehören zu unterschiedlichen Sphären, bzw. Feldern. Den Gegenstand, bzw. seine Bild in den Geist zu kopieren, ist deshalb eine Art von Übertragung (μεταφέρω): “Ein Nervenreiz, zuerst übertragen in ein Bild! Erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einem Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Überspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andre und neue.”10 Zweitens ist ein metaphorischer Prozess für die Sprache deshalb wesentlich, weil die Bildung der Begriffe aus dem Gleichsetzen des Nichtgleichen entstehe. Das heißt, dass die Begriffsbildung, und zwar die Abstraktion in dem Akt “Übersehen von Individuellen und Wirklichen” besteht: “So gewiss nie ein Blatt einem andern ganz gleich ist, so gewiss ist der Begriff Blatt durch beliebiges Fallenlassen dieser individuellen Verschiedenheiten, durch ein Vergessen des Unterscheidenden gebildet und erweckt nun die Vorstellung, als ob es in der Natur außer den Blättern etwas gäbe, das "Blatt" wäre, etwa eine Urform, nach der alle Blätter gewebt, gezeichnet, abgezirkelt, gefärbt, gekräuselt, bemalt wären, aber von ungeschickten Händen, so dass kein Exemplar korrekt und zuverlässig als treues Abbild der Urform ausgefallen wäre.“11 9 Nietzsche, 1975, S.372 10 Nietzsche, 1975, S.373 - Eine ähnliche Darstellung begegnet man auch bei Herder. Für ihn auch hat “der Gegenstand mit dem Bild, das Bild mit dem Gedanken, der Gedanke mit dem Ausdruck, das Gesicht mit dem Namen so wenig gemein.” Was wir während der Begriffsbildung tun, ist also nichts außer ein Über-Tragung, eine uploads/Philosophie/ begriff-metapher-grenze-anti-essentialismus-bei-nietzsche-mauthner-und-wittgenstein.pdf
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- Publié le Mar 11, 2022
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