Deutscher Ärzte-Verlag ¶ Entwicklung und aktueller Stand ¶ Placebo in Forschung
Deutscher Ärzte-Verlag ¶ Entwicklung und aktueller Stand ¶ Placebo in Forschung, Klinik und Praxis ¶ Interdisziplinär zusammengesetzte Expertengruppe Mehr als nur ein Placebo-Effekt Kaum ein medizinischer Terminus wird so häufig ver- wendet wie „Placebo“. Fast jeder glaubt zu wissen, was man darunter versteht, ohne aber meist wirklich erklären zu können, was genau damit gemeint ist und - vor allem – wie Placebo funktioniert. Verschaffen Sie sich einen Überblick, z.B. über neueste Studien, ethische Problematik und rechtliche Rahmenbedingungen. Nutzen Sie die tiefergehenden Kenntnisse der Placeboforschung, um erwünschte Arzneimittelwirkungen zu maximieren, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten zu verringern und Kosten im Gesundheitswesen zu sparen. Placebo in der Medizin Herausgegeben von der Bundesärztekammer auf Empfehlung ihres Wissenschaftlichen Beirats www.aerzteverlag.de Placebo in der Medizin Deutscher Ärzte-Verlag Placebo in der Medizin Herausgegeben von der Bundesärztekammer auf Empfehlung ihres Wissenschaftlichen Beirats 101222_Placebo in der Medizin_Placebo in der Medizin_165X238B_4.qxd 22.12.2010 11:30 Seite 1 Doch als er mich fragte, ob ich das Mittel wider das Kopfweh wisse, antwortete ich nicht ohne Mühe, ich wisse es. Worin besteht es nun? fuhr Charmides fort. Und ich erwiderte, daß es ein Blatt sei, zu dem Mittel aber noch ein Spruch gehöre, und daß, wenn jemand diesen spreche, beim Gebrauch von jenem das Mittel durchaus gesund mache; ohne den Spruch aber sei das Blatt nichts nütze.“ Platon, Charmides 155C/156A, übersetzt von L. Georgii DULCAMARA […] e l’effetto sorprendente non ne tardi a conseguir. NEMORINO Sul momento? DULCAMARA A dire il vero, necessario è un giorno intero. (Tanto tempo è sufficiente per cavarmela e fuggir.) NEMORINO E il sapore? … DULCAMARA Egli è eccellente … (È bordò, non elisir.) V DULCAMARA Und die Wirkung wird sich zeigen, Freund, ich stehe dir dafür. NEMORINO Wirkt es schnelle? DULCAMARA Nicht auf der Stelle! Erst in vierundzwanzig Stunden. (Zeit hab’ ich indes gefunden, Weit bin ich alsdann von hier!) NEMORINO Doch wie schmeckt es? DULCAMARA Ganz vortrefflich! (’s ist Bordeaux, kein Elixir!) Gaetano Donizetti (1797–1848), L’elisir d’amore (dt. Der Liebestrank) Vorwort Kaum ein medizinischer Terminus wird so häufig, auch im übertragenen Sinne, verwendet wie „Placebo“. Suchmaschinen im Internet kommen, je nach Schreibweise, auf mehr als 6 Millionen Treffer. Fast jeder glaubt zu wissen, was man darunter versteht, ohne aber meist wirklich erklären zu können, was genau damit gemeint ist und – vor allem – wie Placebo funk- tioniert. Zudem denken die meisten Ärztinnen und Ärzte1 bei diesem Begriff gleich an Klini- sche Studien, nicht aber an ihre eigene therapeutische Tätigkeit (Stichwort „Droge Arzt“). In der breiten Öffentlichkeit wird der Begriff „Placebo“ häufig in gesundheitspolitischen Diskus- sionen verwandt, indem z. B. Heilverfahren mit nicht zweifelsfreiem Wirksamkeitsnachweis als „Placebo-Medizin“ oder als „Pseudo-Placebo“ gekennzeichnet werden. Und in übertrage- ner Bedeutung findet man den Ausdruck „Placebo“ fast in allen anderen Lebens- und Politik- bereichen. Vieles wird (auch in Klinischen Studien) dem Placebo-Effekt zugeschrieben, was im stren- gen wissenschaftlichen Wortgebrauch gar nicht darunter fällt (z. B. statistische Effekte, natür- licher Krankheitsverlauf). Lange Zeit hatte es den Anschein, dass die experimentelle Placebo- Forschung, die in den letzten zwanzig Jahren zum Teil bahnbrechende Erkenntnisse über Wir- kungsmechanismen und andere Faktoren, die den Placebo-Effekt konstituieren, an den Tag gebracht hat, kaum zur Kenntnis genommen würde. Und schon gar nicht wurden aus diesen Forschungsergebnissen Konsequenzen für die eigene therapeutische Praxis gezogen. Doch hier scheint sich inzwischen ein Bewusstseinswandel abzuzeichnen, nachdem nicht nur Fachzeitschriften, sondern auch populäre Medien (so z. B. das Nachrichtenmagazin Der Spie- gel mit einer Titelstory) die neuere Placeboforschung bekannter gemacht haben. In der ärztli- chen Aus- und Weiterbildung wird dieses Phänomen allerdings noch immer zu wenig berück- sichtigt, wenn man von einigen Ausnahmen absieht. So war in Baden-Württemberg ein zwei- stündiger Kurs über Placebo bislang fester Bestandteil der ärztlichen Weiterbildung für den Facharzt für Allgemeinmedizin. Neuere Studien belegen, dass Placebo nicht nur in der klinischen Forschung als Kontroll- gruppe eine zentrale Rolle spielt, sondern dass Placebo (in unterschiedlichster Form) auch in der therapeutischen Praxis eingesetzt wird. Eine Umfrage an der Medizinischen Hochschule Hannover aus dem Jahre 2008 zeigt, dass nicht wenige Therapeuten – in diesem Fall Ärzte aus unterschiedlichen Abteilungen einer Klinik der Maximalversorgung – zumindest gelegent- lich, teilweise auch häufig Placebos einsetzen. Schmerzen wurden am häufigsten als Grund für eine Placebogabe angeben, danach folgen: Schlaflosigkeit, depressive Verstimmung, Ver- dauungsstörungen. Eine neuere Schweizer Studie kommt zu dem Ergebnis, dass nur 28 % der befragten Schweizer Hausärzte niemals Placebo einsetzen. Diejenigen, die Placebo in ihrer Praxis anwenden, greifen größtenteils auf Pseudo-Placebos (57 %) zurück, eine Minderheit VII 1 Mit den in dieser Stellungnahme verwendeten Personen- und Tätigkeitsbezeichnungen sind, auch wenn sie aus Gründen der besseren Lesbarkeit oft nur in einer Form auftreten, beide Geschlechter gemeint. (17 %) verabreicht reine Placebos. Erstaunlich ist weiterhin, dass das therapeutische Verhal- ten von den meisten Schweizer Ärzten, die angaben, Placebo zu verwenden, in ethischer Hin- sicht weitgehend als unproblematisch angesehen wurde, solange es sich in ihren Augen um ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Arzt und Patient handelt. Der Anteil derjenigen, die hier eine ethische oder rechtliche Grauzone sehen, schwankt immerhin zwischen 11 % und 38 %. Es besteht also in der therapeutischen Praxis nicht nur eine Unsicherheit, sondern auch eine Unkenntnis darüber, inwieweit eine Placebogabe in ethischer und rechtlicher Hinsicht erlaubt, vielleicht sogar geboten ist. Dass der Placeboeffekt aber nicht nur an eine Placeboga- be oder einen Scheineingriff gebunden ist, sondern auch Bestandteil jeder medizinischen Be- handlung ist, wird in solchen Umfragen erst gar nicht abgefragt. Um Ärztinnen und Ärzte, ganz gleich, ob sie in klinischen Studien involviert sind oder in Kliniken und Praxen tagtäglich Patienten behandeln, auf die Erkenntnisse der sich dyna- misch entwickelnden Placeboforschung aufmerksam zu machen und anzuregen, diese für eine Optimierung der Therapien, die man in der eigenen Praxis anwendet, zu nutzen, hat der Vorstand der Bundesärztekammer den Wissenschaftlichen Beirat im Juli 2007 damit beauf- tragt, einen Arbeitskreis „Placebo“ einzurichten. Nach knapp zweijähriger Arbeit einer inter- disziplinär zusammengesetzten Expertengruppe liegt nun eine umfassende Stellungnahme vor, die beide Bereiche des Einsatzes von Placebo, Klinische Studien und alltägliche therapeu- tische Praxis, gleichermaßen berücksichtigt. Dabei wird nicht zuletzt auf die ethische Proble- matik, aber auch auf die weniger bekannten rechtlichen Rahmenbedingungen detailliert ein- gegangen. Das gilt insbesondere in Hinblick auf eine Sondergruppe, die Nicht-Einwilligungs- fähigen, zu denen in der Literatur über Placebo bislang wenig zu finden war. Ausführlich werden weiterhin die unterschiedlichsten Formen von Placebos dargestellt und Hinweise zu deren Handhabung gegeben. Der Beschreibung der Wirkungsmechanismen, soweit sie von der experimentellen Placeboforschung mit Hilfe modernster Technik (z. B. fMRT) und inno- vativer Studiendesigns aufgeklärt werden konnten, wird in dieser Stellungnahme ebenfalls breiter Raum gewährt. Für die ärztliche Praxis von Bedeutung sind neben dem Kapitel über die Implikationen, die das Placebophänomen für die evidenzbasierte Medizin hat, insbeson- dere die Ausführungen zur Bedeutung der Arzt-Patient-Interaktion und des sogenannten „therapeutischen Settings“ für den Placeboeffekt. Diese Stellungnahme des AK Placebo soll dazu beitragen, das Bewusstsein in der Ärzte- schaft dafür zu schärfen, dass der Placeboeffekt bei jeder Behandlung, auch bei einer Stan- dardtherapie auftritt. Deshalb empfiehlt die Arbeitsgruppe, Ärztinnen und Ärzten bereits in der Ausbildung sowie in der Fort- und Weiterbildung tiefergehende Kenntnisse der Placebo- forschung zu vermitteln, um erwünschte Arzneimittelwirkungen zu maximieren, uner- wünschte Wirkungen von Medikamenten zu verringern und Kosten im Gesundheitswesen zu sparen. Prof. Dr. phil. Robert Jütte Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg-Dietrich Hoppe Prof. Dr. med. Dr. h.c. Peter C. Scriba VIII Vorwort Inhaltsverzeichnis 1 Definitionen, Begrifflichkeiten, Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Definition – 3 1.2 Placeboeffekt und Placeboreaktion – 4 1.2.1 Der natürliche Krankheitsverlauf – 6 1.2.2 Statistische Effekte – 6 1.2.3 Zeit- oder Gewöhnungseffekte – 6 1.3 Methodische Fehler – 6 1.4 Reine und unreine Placebos (bzw. aktive Placebos, Pseudo-Placebos) – 7 1.5 Nocebo – 9 1.6 Exkurs zur Komplementärmedizin – 10 1.7 Zusammenfassung – 12 2 Die Geschichte des Placebos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1 Etymologie – 21 2.2 Frühe Beispiele für Placebogaben – 23 2.3 Placebo in der klinischen Forschung – 24 3 Unterschiedliche Formen von Placebos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.1 Pharmazeutische Darreichungsformen von Placebos – 35 3.2 Effekte der unterschiedlichen Darreichungsformen von Placebo- Medikamenten – 36 3.3 Praktische Hinweise – 37 3.4 Placebo-Operationen in der klinischen Forschung – 37 3.5 Placebos in der Akupunktur – 39 3.6 Placebos im Rahmen der Erforschung nicht-medikamentöser Interventionen – 40 3.7 Formen des Placebos in der Psychiatrie und Psychotherapie – 41 3.8 Zusammenfassung – 42 4 Mechanismen des Placeboeffekts . . . . . . . . uploads/Geographie/ placebo-lf-1-17012011.pdf
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- Publié le Oct 21, 2021
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